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Der Weg eines Kämpfers

Obwohl viele Kampfkünstler jahrelang ihr Können perfektionieren, erreichen doch nur wenige eine höhere Ebene zu innerem Frieden, seelischer Harmonie, Ausgeglichenheit und echtem Selbstvertrauen.

Auch ich habe die ersten Jahre meines Kampftrainings damit verbracht, die Ausführung komplexer Körperbewegungen zu verfeinern und hart einzutrainieren. Als ich 1977 mit dem Karatetraining anfing, lag es mir fern, mich mit irgendeiner spirituellen Lehre zu befassen. Zen oder andere geistige Lehren lagen für mich im Bereich des Hokuspokus. Traf ich auf irgendeinen „esoterischen Spinner“ in der Kampfkunst, so war es mir ein leichtes, diesen mit den Vorzügen eines harten körperlichen Trainings derart zu konfrontieren, dass ich weiterhin an die Stärke meines Körpers und die Perfektion meiner Technik glauben konnte. Nie hätte ich damals gedacht, wohin mich der Weg durch das Erlernen der Kampfkünste führen sollte.

Als ich 1979 das Wing Tsun von Kernspecht kennenlernte, glaubte ich ein Kampfsystem gefunden zu haben, welches mit mathematischer Genauigkeit auf jede Situation im Kampf mit einer Formel reagieren kann. Kampfkunst wurde für mich auf einmal Wissenschaft. Der Bewegungsfluss, den ich im Karatetraining kennenlernte, wurde durch das Wissen von Winkeln und Druckverhältnissen aus dem Wing Tsun so unterbrochen, dass ich glaubte, Kämpfen sei nichts anderes, als eben die Vollendung dieser Winkel zur Perfektion.

Ich traf damals auf niemanden der fähig war, mich zu besiegen – es sei denn jemanden meines eigenen Systems. Bruce Lee sagte einmal, dass für einen Zuschauer von Kampfkunst eine Gerade einfach ein Schlag sei. Für einen Anfänger ist die Gerade eine schwierige Angelegenheit. Ein fortgeschrittener Schüler erkennt, dass eine Gerade eine Summe von Drehungen und Winkeln in Körper und Arm ist. Ist der Schüler sehr fortgeschritten, ist die Gerade für ihn eine Wissenschaft. Der Meister findet eine Gerade ist einfach ein Schlag.

Im Westen haben wir eine Inflation von Meistern. Kfz-Meister, Schreinermeister, Karatemeister usw. Es gibt für einige Meisterschulen Innungen die einem irgendwann eine Urkunde in die Hand geben, die aussagen sollen: jetzt bist Du Meister. Für viele Meisterzertifikate gibt es nicht einmal die Anerkennung eines „echten“ Meisters. Wie auch immer; ein Meisterzertifikat wird im Westen von Menschen ausgestellt, die durch ihre Prüfungen auf technischer und materieller Ebene dem Absolventen für Geld die Befähigung zusprechen, sein Handwerk zu beherrschen. Vorwiegend ist dies in Wirklichkeit nur der Schutz der bestehenden Betriebe, der verhindern soll, dass sich nicht jeder in ihrem Markt breit macht.

Für den wahren Meister der Kampfkunst ist das Erlernen von Karate, Judo, Wing Chun, Aikido, bras. Jiu Jitsu, Escrima, Thai Boxen, Thai Chi oder einer der vielen anderen Kampfkünste ein Zugangstor zu innerer Harmonie, Selbstvertrauen und spirituellem Leben – und auch Sterben.

Vor einiger Zeit beobachtete ich bei einem Turnier zweier Schulen, die erste Erfahrungen in der Ausrichtung von Kämpfen machen wollten, den Streit eines asiatischen Trainers mit einem Schiedsrichter. Der Trainer beschimpfte den Ringrichter, der die Kämpfer aus Gründen der Verletzungsgefahr im Vollkontakt relativ früh trennte, dermaßen, dass das Turnier unterbrochen werden musste, um den Trainer zu beruhigen. Jeder hatte Angst, sich dem aggressiven Trainer zu nähern. Wenn er in diesem Augenblick eine Atombombe gehabt hätte, er hätte wahrscheinlich mit deren Zündung gedroht.

Dieser Trainer hatte sich von früher Kindheit an mit den Kampfkünsten beschäftigt, und daher dachte ich immer, dass er inzwischen ein Meister sei. Er war in Asien großgeworden und ich meinte, dass die Entwicklung zu einem Meister in einem Land, in dem die ganze Umgebung mit den Werten der Kampfkünste zu tun hat, leichter sei als im Westen. Um so erstaunter war ich über die irrationalen Wutausbrüche dieses Trainers. Es ist daher wichtig zu unterscheiden: man kann wohl ein absoluter Könner der Kampfkunst sein ohne den Geist des Kampfes erfasst zu haben. Die Möglichkeit, die körperlichen Techniken in der Kampfkunst zu entwickeln ohne die philosophischen oder spirituellen Aspekte der Künste zu begreifen sind sehr groß. Ich bin überzeugt, dass man diese Aspekte aus jeder körperlichen Tätigkeit ziehen kann. Das Erlernen von Analysen mit entsprechender Verhaltensänderung, üben von Wahrnehmungen und Achtsamkeit, und das Einstecken von Niederlagen führt zu echtem Selbstbewusstsein. Dies führt zu innerem Frieden und Entspannung.

Musashi sagte, dass das Ausüben von Kampfkunst oder auch einer anderen Kunst dazu führt, dass man den Weg aller Wege versteht. Ein Schlüssel des körperlichen Kämpfens ist die Begrenztheit. Wer einmal im Kampf auf einen echten Meister getroffen ist, spürt, dass Jugend, Kraft und Schnelligkeit einem solchen Meister nicht zu schaffen machen.

Durch das Unterrichten von Kampfkunst seit zwei Jahrzehnten, habe ich bei vielen meiner Schülern, denen ich etwas zeigen durfte, persönliche Veränderungen gesehen, die auch bei mir stattfanden. Viele hatten Veränderungen im Privatleben, die durch das Erlernen von Werten im Kampf bedingt waren. Da ich von einer großen Zahl meiner Schüler nur bedingt verstanden werde, habe ich mich entschieden, einer kleinen Zahl meiner Schüler das weiterzugeben, was der wahre Schatz der Kampfkünste ist: ein besserer Mensch zu werden.

Sifu Christoph Hauch

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