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Ideologie der Kampfkunst

Das Angebot an Wing Chun – Seiten und die Möglichkeiten sich über dieses Thema im Netz zu informieren sind mittlerweile sehr vielfältig geworden. Wir möchten uns deshalb an dieser Stelle darauf beschränken, Euch unsere Grundeinstellung zum Wing Chun vorzustellen, die Basis an Trainingsprinzipien also, die Wing Chun als funktionale Kampfkunst auszeichnen.

1. Kampfkunst und nicht Kampfsport

Diese Unterscheidung mag Dir vielleicht etwas haarspalterisch vorkommen. Allerdings ist sie notwendig, um einen grundlegenden Unterschied verschiedener Kampfsysteme deutlich machen zu können. Kurz gesagt also: Mit der Unterscheidung der Begriffe Kampfkunst und Kampfsport verbindet sich in erster Linie die Differenzierung zwischen einem System, das nach Regeln funktioniert, die einen fairen sportlichen Wettkampf zulassen sollen, die also das Verletzungsrisiko der sportlichen Gegner minimieren wollen und einem System, welches auch heute noch die Kampfweisen enthält, die eine Kampfkunst auch als Kriegskunst ausgezeichnet haben.

Einige von Euch werden sich an der Bezeichnung Kunst für ihre Kampfweise stören, da das Wort Kunst heute überwiegend in ästhetischen Zusammenhängen gebraucht wird. Gerade Wing Chun hat allerdings recht wenig mit nur schönen Bewegungen zu tun, die diese enge Auffassung des Wortes Kampfkunst rechtfertigen würden. Deshalb sei es hier noch einmal ganz klar gesagt: Kunst kommt von Können und darf deshalb nicht als zum rein ästhetischen verkümmerte Bewegungsform mißverstanden werden. Können heißt Kämpfen können. Dass Du Dich in der Art, in der Du kämpfst oder auch nur trainierst natürlich auch ausdrückst ist klar. Die Möglichkeiten, die Dir die Formen und die Prinzipien des Wing Chun geben, sind gewaltig.

Unter Anleitung Deines Sifus oder Lehrers wirst Du immer mehr in der Lage sein, Deinen persönlichen Stil zu entwickeln, ohne die Basis des Wing Chun zu verlassen. Versteh das nicht falsch: Es geht nicht darum einen eigenen Kung Fu Stil auf der Basis von Wing Chun zu kreieren, sondern es geht darum, Deinen eigenen Weg innerhalb des Wing Chun zu gehen, abgestimmt auf Deinen Körper und Deinen Geist. Jetzt hast Du also die komplette Bedeutung des Wortes Kampfkunst, wie wir es verstehen: Als erstes und grundlegendes Element mußt Du also kämpfen lernen. In der zweiten Stufe, geht es für Dich dann darum, Dich in der Art wie Du kämpfst auch wiederzufinden. Es muß Dir also klar werden, was für Dich geht und was nicht, in welchen Techniken und Situationen Du stark bist und in welchen nicht. Außerdem mußt Du verstehen, warum das so ist. In der dritten Stufe hast Du dann soviel Wissen von dem was Du tust, dass es Dir möglich wird, Deinen eigenen Weg im Wing Chun zu gehen.

2. Prinzipien statt Techniken

Auch im Wing Chun wird der Begriff Technik oder Kampftechnik benutzt, um eine festgelegte Abfolge von Bewegungen zu beschreiben, die auf eine bestimmte Kampfsituation angemessen ist. Das ist aber nicht der Kern des Trainings. Du solltest Schritt für Schritt die in den Techniken enthaltenen Kampfprinzipien erkennen und verstehen lernen. Das heißt für Dich, die erlernte Technik als ein Beispiel für eines oder mehrere der wichtigsten Wing Chun Prinzipien zu begreifen, und Dir damit auch deren Übertragbarkeit in andere Situationen als der gerade trainierten bewußt zu werden. Beispielsweise muß Dir klar sein, dass das Prinzip der Geschlossenen Mitte nicht nur in einer Kampfstellung als Ausgangsstellung gilt. Vielmehr mußt Du darauf achten, dass Deine Zentrallinie mit jeden Schlag, mit jedem Tritt, mit jedem Angriff und mit jeder Abwehr gedeckt ist. Dass Du Dich in Sparrings- oder Kampfsituationen auch öffnen mußt ist klar. Du kannst nicht hundertprozentig gedeckt kämpfen. Allerdings bedeutet das Prinzip der Geschlossenen Mitte, dass Dir bewußt sein muß, wo die Lücke in Deiner Deckung ist. Du mußt also wissen, wo Dein Gegenüber Dich als nächstes angreifen wird. Wenn Du schon etwas vom Wing Chun weißt, dann kennst Du das Chi Sao als die Trainingsmethode, die Dir genau dieses Verhalten vermittelt: Zu spüren, an welcher Stelle Du als nächstes sinnvoll angegriffen werden kannst und wie Du genau diese Lücke zu Deinem Vorteil schließen kannst.

3. Übertragbarkeit im Kampf

Übertragbarkeit kann sich in vielen Formen ausdrücken und sich auf unterschiedlichsten Ebenen abspielen. Anfangs ist es für Dich schon ein großer Erfolg eine einfache Technik wie etwa einen geraden Fauststoß von Dir aus in eine neue, bisher im Unterricht nicht behandelte, Situation sinnvoll zu integrieren.

Nach kurzer Zeit wird es für diejenigen, die aus den reinen Bewegungsabläufen bereits ein prinzipielles Kampfverhalten extrahieren konnten, möglich, auf gestellte Aufgaben, das heißt erst einmal neue Kampfsituationen im Training, selbständige Lösungen zu entwickeln, die mit den Instruktoren auf ihrer Funktionalität hin überprüft werden können.

Im fortgeschrittenen Stadium des Lernens wird es für Dich möglich aus dem bisher Gelernten eigene Schwerpunkte zu bilden. Das heißt, ein eigenständiges Kampfverhalten auf der Basis der Wing Chun Prinzipien zu entwickeln. Darüber hinaus solltest Du spätestens auf dieser Ebene des Trainings ein Bewußtsein für die Übertragbarkeit von Kampfverhalten in ein alltagstaugliches Problemlösungsverhalten entwickelt haben. Eins muß Dir klar sein: Je flexibler und breiter Du Dein Wissen über das Kämpfen anwenden kannst, desto mehr Nutzen hast Du von dem ganzen, desto eher bist Du auf Deinem Weg.

4. Kampf als alltägliches Verhalten

Problemlösung durch Anwendung physischer und auch psychischer Gewalt muss immer eine Ausnahme bleiben. Trotzdem sind Trainings- und auch Kampfweisen des Wing Chun, richtig verstanden, im täglichen Leben sinnvoll einzusetzen. Im Kampf ist ein schnelles Besiegen eines Gegners nur durch Kontrolle des eigenen und auch des Körpers des Gegners möglich. Nur diese Kontrolle erlaubt ein konsequentes, nicht zufälliges Handeln durch gezielte Angriffe auf die Lücken der gegnerischen Deckung. Das Lesen des gegnerischen Körpers wird im Training etwa durch Chi Sao oder Sparring geübt. Chi Sao schult unter anderem ein Suchen, Öffnen und Nutzen der gegnerischen Lücken auf nächster Distanz. Sparring schult das gleiche Verhalten auf einer größeren Entfernung. Chi Sao ist reflexhaftes Handeln durch Erkennen einer Situation über das Gefühl. Sparring mit Armen und Beinen fordert dagegen mehr Übersicht und bewußtes Erkennen einer Situation von Dir, bevor es zu einer Handlung Deinerseits kommen kann.

Übertragen auf alltägliche Konflikte heißt dies: Der Konflikt, der Streit, die Meinungsverschiedenheit soll so schnell wie möglich beigelegt werden. Kontrolle über die dafür notwendigen Gespräche, aber auch die damit verbundenen Gesten ermöglichen es Dir, die schwierige Situation leichter zu lösen. Die Übersicht des Sparrings versetzt Dich in die Lage, den Streitpunkt, Dein Verhalten in diesem Streit und das Verhalten Deines Gegenübers aus der Distanz zu betrachten. Das Fühlen des Chi Sao erlaubt es, ein Problem aus der Nähe, das heißt, aus einer weniger analytischen Position wahrzunehmen.

5. Selbstschutz

Du hast ein Recht darauf, dass es Dir gut geht. Du hast aber auch die Pflicht, Dich selbst darum zu kümmern, dass dem so ist. Aus dem, was bisher gesagt wurde, ist Dir hoffentlich deutlich geworden, dass es uns beim Kämpfen und damit auch beim Selbstschutz nicht nur um Treten und Schlagen geht. Es geht uns darum, dass es Dir und auch uns gut geht. Unser Weg ohne Angst zu leben, ist der des Kämpfers. Dies muß nicht heißen, dass dies der beste Weg für alle ist – wir haben uns jedenfalls für ihn entschieden. Du kannst bei uns also lernen, Dich selbst und auch Dein Selbst vor dem zu schützten, was Dich an einem zufriedenen Leben hindern könnte. Du mußt nur bereit sein, dafür zu arbeiten.

Sifu Christoph Hauch

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